Jahreskreis

Gimpelwinter

Die Sonne  glitzert durch
Wolkenschleier
in tausend Kristallen,
die flirrend
auf tote Blätter fallen.

Glutrot leuchten die Brüste
der Gimpel in kahlen Kronen.
Ihr seid geblieben,
ihr haltet durch,
während andere Vögel
im Süden wohnen.

 

Vorfrühling

Gekrümmt in Winterdunkelheit
die Erde schreit:
Schmilz mir das Eis!
Lass Wasser fließen!
Tränke mich wieder!
Lass Grünes sprießen!
Und sanft leuchtet das Licht
auf Sämlinge, winzig und zart.
Langsam die Fessel zerbricht
und Frühling ward.

 

Süße Düfte wallen

Süße Düfte wallen
weiße Blüten fallen
furchtlos steht im Feld ein Reh

Längst geformte Fülle
sprengt die braune Hülle
genähret durch geschmolznen Schnee

Als hätt es nie gefroren
als hätt er nichts verloren
hör ich den Schlehdorn sagen: Geh!

 

Zufrühsommer

Staub in den Augen
befühl ich die Risse im Boden.
Die Spitzen der Gerstengrannen
färben sich hell.

Vorzeitig zur Reife getrieben
bleiben die Körner schmal.
Und der bräutliche Holler
vertrocknet im heißen Wind.

 

Ackerkrume

Aus weichen Wolken rinnt
warmer Regen auf mein wundes Herz.

Was hat die Wendung gebracht?

Als ich mich nicht mehr bückte
um die bitteren Kiesel
ist Krume geworden der Schmerz.

 

Blätter

Still hängen die letzten Glockenblumen im Wald.
Rotbraun und gelb schweben Buchenblätter zu Boden.
In der Kirche am Berg tanzen die vier Evangelisten
ganz in Blattgold gehüllt.
Sie schwingen die kostbaren Bücher,
darin alle Hoffnung verzeichnet ist.
Blatt für Blatt.

Mariahilferberg, Okt.17

 

Herbstsonne

Noch kann ich dich fühlen auf meiner Haut
noch leuchten die Beeren, die herben
noch liegt dein Glanz auf den Feldern
noch wehrst du dem Nebel
noch wärmst du den Tag

Doch in der Nacht sind die Beeren nicht rot
und die goldene Frucht liegt in abgeschiedenen Kammern.
Einsam modert der Halm,
der das Brot für den Winter getragen.

 

Schneewind im Nussbaumgeäst

Schneewind im Nussbaumgeäst,
Herdfeuerrauch und
Treibjagdgeknatter.
Der klagende Ruf des Gimpels
verhallt ungehört-
unsichtbar bleibt
das ferne Tagesgestirn.
Kein Strahl trifft
die harrenden Knospen.
In düsteren Wolken
treibt sich der Bussard herum.
Wenn der Frost die Knospen verschont,
wird einmal Frühling sein.

© Maria Harbich-Engels